Schulen und KiTas unter Hygieneschutz im Regelbetrieb öffnen

Berlin, den 11.04.2021

Nach den jüngsten Beschlüssen ist es schwer zu überblicken, wer von Ihnen künftig entscheiden wird, ob und wie Kinder Schulen und KiTas besuchen dürfen. Fest steht: Die Gesamtsituation des alltäglichen Lebens für Kinder und Jugendliche in der Pandemie – insbesondere bezüglich Bildungschancen und sozialen Lebens – ist weiterhin besorgniserregend. Die aktuelle Entwicklung der erneuten Schließung von KiTas, beispielsweise in Berlin, und von Schulen, etwa in Nordrhein-Westfalen, sehen wir mehr als kritisch und zweifeln die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Maßnahme an. Wir wenden uns ausdrücklich gegen jede Art von automatischen Einschränkungen des Regelbetriebs in Schulen und KiTas „sowie Gruppensportverbote“1 in Abhängigkeit von Melde-Inzidenzen im Infektionsschutzgesetz.

Die Berliner Corona Schul– und KiTa-Studien haben gezeigt, dass auch bei hoher Verbreitung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung mit den Hygienemaßnahmen, die in Berlin im Einsatz sind, das Ansteckungsrisiko in Schulen und KiTas gering ist. Das Ergebnis ergibt sich auch aus vergleichbaren Studien aus Frankfurt, Rheinland-Pfalz und vielen anderen Bundesländern, wie auch aus dem Ausland. Ihnen stehen zusätzlich Schnelltest- und Impfprogramme für Lehrer:innen und Erzieher:innen zur Verfügung, um das Infektionsrisiko weiter zu verringern. Aufgrund der stark steigenden Testzahlen bei Kindern können Eintragungen des Virus in KiTas und Schulen auch bei steigenden Infektionszahlen in der Umgebung gut entdeckt werden. 

Die erneute Schließung der KiTas und Schulen ist demnach nicht notwendig. Ganz im Gegenteil, es ist dringend nötig, Schulen und KiTas geöffnet zu lassen „und Gruppensport in Vereinen zumindest unter freiem Himmel zu ermöglichen“1. Denn die Solidarität, die wir Kindern bereits seit Monaten abverlangen, geht auf Kosten ihrer Bildungs- und Entwicklungschancen, ihrer psychischen Gesundheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit. Es gibt klare Hinweise, dass die Gewalt in Familien im Lockdown steigt. Mit eingeschränkt arbeitenden Bildungs- und Betreuungseinrichtungen und Jugendämtern fehlt der wichtigste Weg zur Nachverfolgung. Die Kinder- und Jugendärzt:innen, -psychiater:innen und -psychotherapeut:innen  unter den Unterzeichnenden beobachten seit Wochen einen starken Anstieg an Angst- und Schlafstörungen, Depressionen und Suizidgedanken unter Kindern und Jugendlichen. Die negativen Langfristfolgen anhaltenden Unterrichtsausfalls für Bildungs- und Entwicklungschancen der betroffenen Kinder, ihre späteren Erwerbsmöglichkeiten, ihre Gesundheit und Lebenserwartung sind umfassend dokumentiert und belegt. Dass der Distanzunterricht auch an den Bedürfnissen leistungsstärkerer Kinder vorbeigeht und zusätzlich zu einer Verschärfung der Bildungsungerechtigkeit führt, ist unbestritten. Vermehrt zeigen sich auch die erheblichen Schwachstellen im Wechselmodell. „Auch Bewegung und gemeinsame Aktivität sind für Kinder und Jugendliche, ihre physische und psychische Gesundheit, ihre soziale Entwicklung und ihre kognitive Leistung elementar. Gruppensportverbote belasten und schaden Kindern und Jugendlichen in ihrer Entwicklung zusätzlich und langfristig.1 Infektionsschutz zu Lasten der Gesundheit und der Entwicklungschancen von Kindern muss dringend ein Ende haben!

Wenn es Ausbrüche in Schulen oder KiTas gibt, sind sie in aller Regel klein. Das Personal in Schulen und KiTas hat gegenüber anderen Berufsgruppen kein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Hingegen ist die Wahrscheinlichkeit bei Lehrer:innen sehr viel höher als bei Kindern, dass sie Ausgangspunkt von Ansteckungen in Schulen sind. Nach der politischen Entscheidung, das Personal in Schulen und Kitas beim Impfen vorzuziehen, ist es jetzt Aufgabe der Politik durch umfassende Aufklärung sicherzustellen, dass möglichst viele das Impfangebot auch wahrnehmen. Wenn das Impfen aus logistischen Gründen oder aufgrund politischer Entscheidungen nur langsam vorankommt, kann dies nicht bedeuten, dass Kinder noch länger ihr Recht auf Bildung, ihre Entwicklungschancen und ihre Gesundheit zur Disposition stellen müssen!

Kinder sind von einem schweren Verlauf von COVID-19 als Krankheit kaum betroffen (SARS-CoV-2-Infektion Kinder). Daran ändert auch das Auftreten neuer Virusvarianten nichts. Es gibt praktikable Hygienemaßnahmen, die Ansteckungsrisiken in Schulen und KiTas noch weiter verringern. Die Aussetzung der Präsenzpflicht bei hohen Ansteckungsraten erlaubt es Eltern mit Ängsten oder in besonderen Risikosituationen, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten. Dafür gilt es, ihnen die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Alle anderen Kinder und Jugendlichen müssen nach wochenlangem Verzicht auf Lernen, Begegnungen mit Gleichaltrigen, Sport und anderen gemeinsamen Aktivitäten endlich in den Normalbetrieb an KiTas und Schulen zurückkehren dürfen.

Die WHO, UNICEF, das ECDC und zahlreiche weitere internationale und nationale Institutionen fordern seit Monaten, Schulen und KiTas nur im äußersten Notfall zu schließen. Dem muss auch Deutschland endlich gerecht werden.

Ihr möchtet unseren Brief unterstützen? Ihr könnt hier unterschreiben.

Der Vorstand Initiative Familien
Diane Siegloch, Zarah Abendschön-Sawall, Heike Riedmann, Stephanie Schläfer, Sabine Kohwagner

initiiert durch Landesgruppe Berlin Initiative Familien
Dr. med Christine Busch, Dipl-Psych. Allia Hammami, Andrea Martin, Ulrike Abromeit, Anna Renner und Milan Renner

Kontakt: Berlin@initiativefamilien.de 

1 Update 16.04.2021 – Ergänzungen zu Sport

Unterzeichnet von

Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
Prof. Dr. med. Arne Simon, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
Prof. Dr. med. Stefan Willich, Direktor, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Prof. Dr.med. Ursel Heudorf, Fachärztin für Kinderheilkunde und für Öffentliches Gesundheitswesen, ehem. stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main
Dr. med. Peter Walger, Arzt für Innere Medizin, Intensivmedizin, Infektiologe, Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), Düsseldorf
Prof. Dr. med., Prof. h.c. (MNG) Walter Popp, Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene; Ärztliches Qualitätsmanagement, ABS-Experte (DGKH), Dortmund
Prof. Dr. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie
Prof. Dr. Detlev Krüger, ehemaliger Direktor, Institut für Medizinische Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Köln
Dr. med. Stefan Trapp, Kinder- und Jugendarzt, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Landesverband Bremen
Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, Infektiologe, ehem. stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit
Prof. Dr. med. Matthias Keller, Ärztlicher Direktor und Chefarzt, Klinik für Kinder und Jugendliche, Passau
Prof. Dr. Tobias Hecker, Bielefeld, Universität Bielefeld, Leiter Arbeitseinheit Klinische Entwicklungspsychopathologie
Dr. med. Beatrix Schmidt, MBA, Chefärztin, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Berlin
Dr. med. Eileen Bublies, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Berlin
Dr. med. Linda van Riesen, Internistin und Notfallmedizinerin, Berlin
Dr. med. Juliane Wentrup, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Prof. Dr. Julia Asbrand, Diplom-Psychologin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (VT), Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychologie und -Psychotherapie
Dr. med. Heiko Brandes, Oberarzt und Kinderschutzbeauftragter, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Berlin
Dr. Klaus Stöhr, Epidemiologe und Virologe, ehemaliger Koordinator des globalen Influenzaprogramms der Weltgesundheitsorganisation
Dr. Gesine Schwietering, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Regionalgruppe Berlin des BKJPP (Berufsverband für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland e.V.)
Dr. med. Sarah Kotsias-Konopelska, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Dr. med. Jessica Boie, Oberärztin für Chirurgie, Hamburg
Shahrasad Dia, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin
Dr. med. Julia Scheiermann, Ärztin in Weiterbildung für pädiatrische Onkologie, Berlin
Dr. med. Miriam Michel, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin, Innsbruck
Simon Walz, Arzt in Weiterbildung für Kinder- und Jugendmedizin, Bremen
Dr. med. Reinhard Bartezky, Kinder- und Jugendarzt, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Landesverband Berlin
Frau Prof. Dr. Katajun Lindenberg, Kinder- und Jugenpsychotherapeutin, Professur für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dr. Jakob Maske, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Pressesprecher (BVKJ)
Prof. Dr. Ute Thyen, Präsidentin Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin e.V.
Doreen Paulick, Dipl. Psychologin, Kinder- und Jugendpsychotherapeutin (VT)
Dr. med. Marcus Stange, Oberarzt, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Schwerpunkt Neuropädiatrie, Neonatologie, angeborene Stoffwechselerkrankungen
Dr. med. Tanja Hartmann, Kinderärztin
Apl. Prof. Dr. Gitta Reuner, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Klinische Neuropsychologin, Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. Ulrich von Both, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie
Univ. Prof. Dr. Nikolaus Haas, Präsident Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK)
Prof. Dr. H.-I. Huppertz, Generalsekretär Deutsche Akademie für Kinder und Jugendmedizin e.V. (DAKJ)
Dipl.Psych.M.Phil. Franziska Manrique Smith, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (VT)
PD Dr. med. André Jakob, Oberarzt Herzkatheterlabor, Kinderkardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Klinikum der Universität München
Verena SchreiberM.Sc. Psychologin, Sozialpädiatrisches Zentrum Kinderklinik Memmingen

Initiative Familien, Bayern
Initiative Familien, Baden-Württemberg
Initiative Familien, Hamburg
Initiative Familien, Hessen
Initiative Familien, Mecklenburg-Vorpommern
Initiative Familien, Niedersachsen und Bremen
Initiative Familien, Nordrhein-Westfalen
Initiative Familien, Rheinland-Pfalz
Initiative Familien, Schleswig-Holstein

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1 Kommentar

Kinderärzte gegen Pläne für automatische Schulschließungen - Ein Kampf · April 12, 2021 um 11:09 am

[…] in Schulen und KiTas in Abhängigkeit von Melde-Inzidenzen im Infektionsschutzgesetz“, schrei­ben die Autoren, die den Brief „Initiative Familien“ unter­zeich­net haben. Die Schließung von Kindertagesstätten bei­pi­els­wei­se in Berlin sowie jüngs­te […]

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