Keine strengeren Maßnahmen für Kinder und Jugendliche, Bekenntnis zu offenen Bildungseinrichtungen

Für Schüler:innen in Baden-Württemberg besteht in den ersten beiden Wochen des neuen Schuljahrs inzidenzunabhängig eine Maskenpflicht im Unterricht – dies hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann Ende Juni angekündigt. Mit dieser Maßnahme sollen Infektionen an Schulen durch Reiserückkehrer verhindert werden. Initiative Familien Baden-Württemberg kritisiert diese Entscheidung. Denn: Wenn man Infektionen unter Reiserückkehrern ausfindig machen möchte, muss es auch für Erwachsene inzidenzunabhängig Maßnahmen wie verpflichtende Test in Unternehmen und im Freizeitbereich sowie eine Home-Office-Pflicht geben. Denkbar wäre auch eine (freiwillige) Testwoche zum Ende der Sommerferien für alle Einwohnerinnen und Einwohner.

Wenn es weiterhin bei einer niedrigen Inzidenz fast ausschließlich nur an Schulen und Kitas Pflichttests gibt1, sind Kinder und Jugendliche die einzige intensiv getestete Personengruppe. Möglicherweise auftretende erhöhte Inzidenzen innerhalb dieser Gruppe würden dann erneut die inzwischen widerlegte, aber kaum aus der Welt zu schaffende öffentliche Darstellung von Kindern und Jugendlichen als „Pandemietreiber“ befeuern und weitere Verunsicherungen hervorrufen. Initiative Familien unterstützt die Forderung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), Kinder und Jugendliche Geimpften, Genesenen und Getesteten gleichzustellen, so wie dies auch in anderen Ländern (z. B. Dänemark) praktiziert wird.

Nicht nur Inzidenzwerte beachten, sondern auch Impfquote und Hospitalisierungsrate berücksichtigen

Bis zum Ende der Sommerferien haben das pädagogische Personal, Risikogruppen und ihre Kontaktperson sowie Eltern ein Impfangebot erhalten – dann ist ein Umdenken in der Beurteilung der Pandemie erforderlich. Für Kinder und Jugendliche ohne Vorerkrankung ist das Risiko einer schweren Erkrankung durch Covid-19 gering: „Die Sterblichkeitsrate und Erkrankungsschwere von Kindern und Jugendlichen nach einer Corona-Infektion ist ähnlich niedrig wie bei der saisonalen Grippe. Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass die Delta-Variante oder eine andere Variante das ändert“, erklärte Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, am 28.6.21 der Rheinischen Post2. Für die Initiative Familien ergibt sich daraus: Wenn aufgrund des Impfschutzes oder jungen Lebensalters Infektionen fast nur noch mit sehr geringen Risiken behaftet sind, darf die Inzidenz nicht weiterhin als alleinige Begründung für massive Restriktionen genutzt werden. Vielmehr müssen auch die Todeszahlen oder Hospitalisierungsraten beachtet werden. Die Auswirkungen der Delta-Variante müssen natürlich beobachtet werden. Aktuell weisen die Daten aus Großbritannien auf höhere Infektionsraten, aber weiterhin niedrige Hospitalisierungsquoten hin3.

Initiative Familien fordert Bekenntnis zu offenen Bildungseinrichtungen

Statt wie Baden-Württemberg nach Auslaufen der Bundesnotbremse deren Kriterien für Wechsel- und Distanzunterricht bei Inzidenzen von 100 bzw. 165 in die Schul-Verordnung zu übernehmen, wäre es ein starkes Signal für Familien gewesen zu versprechen, alles zu tun, damit derartige Maßnahmen nicht mehr oder höchstens lokal eng begrenzt getroffen werden. Der Blick in unsere Nachbarländer zeigt, dass dies möglich ist.

Es gibt kaum eine Bevölkerungsgruppe, die aufgrund der Corona-Maßnahmen so massiv und so lange zurückstecken musste wie Kinder und Jugendliche. Dabei befindet sich gerade diese Altersgruppe in einem sensiblen Altersabschnitt, in dem  sich Entwicklungsprozesse abspielen, die ein soziales Umfeld dringend erfordern. Deshalb muss jetzt endlich der Druck von den Kindern und Jugendlichen genommen werden. Maßnahmen dürften keinesfalls härter, sondern sollten milder sein als für Erwachsene. Während Erwachsene jedoch am Arbeitsplatz meist ohne Maske sitzen dürfen, gelten für Kinder und Jugendliche strengere Regeln.

Die Politik hat sich während der Pandemie meist um „typische Erwachsenenrechte wie Reisefreiheit, Berufsfreiheit, Ausgangsfreiheit“ gekümmert, wie es Heinz Hilgers, der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, formuliert hat4. Nun muss endlich das Recht von Kindern und Jugendlichen auf körperliche und seelische Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe ein wichtiger Maßstab der Corona-Politik werden.

Quellen:
1 https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/Coronainfos/210625_Auf_einen_Blick_DE.pdf

2 https://rp-online.de/politik/debatte-um-delta-variante-kinderaerzte-widersprechen-lauterbach_aid-60319681

3. https://coronavirus.data.gov.uk/

4. https://www.rnd.de/politik/die-sozialen-folgen-der-pandemie-spielen-kaum-eine-rolle-B5UMORNSAVCUJOGSFTVJZJE7ZA.html