Initiative Familien beklagt die einseitige Belastung der Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg

„Obwohl mein Sohn heute nur 2 Stunden in die Schule durfte, hat sich mein Kind riesig gefreut endlich seine Freunde wieder zu sehen.“ Viele Eltern haben es erlebt, strahlende Kinderaugen, die endlich wieder zur Schule dürfen. Doch die Freude währt oftmals nur kurz und für viele Kinder gibt es weiterhin keine Perspektive auf Bildung, soziale Teilhabe, Spiel und persönliche Interaktion mit Gleichaltrigen. Denn seit einer Woche gilt die sogenannte Bundesnotbremse auch in Baden-Württemberg.

On-Off Beschulung und Betreuung führt zu Frust, Stress und Mehrbelastung

Mit Sorge und Angst blicken nun Eltern, pädagogische Fachkräfte und Schulleitungen jeden Morgen auf die aktuellen Inzidenzen in der eigenen Region. Denn sobald die Inzidenz drei Tage in Folge die Marke von 165 überschreitet, sind die Schulen vollständig geschlossen und die KiTas wechseln in die Notbetreuung. Sobald die Inzidenz 5 Werktage unter 165 liegt, darf frühestens 2 Tage später wieder geöffnet werden. “Als die Mitteilung kam, dass erneut geschlossen wird, meinte mein Zweitklässler nur: “Wie oft wollen denn die die Schule noch schließen?” berichtet eine Mutter, “Ich musste meinem Arbeitgeber dann kurzfristig mitteilen, dass ich ab übermorgen Kindkrank nehme. Wann ich wieder arbeiten kann? Keine Ahnung. Das ist Chaos pur, denn heute, 2 Tage später, sind wir wieder bei 140.”

Viele Eltern berichten, dass ihre Kinder traurig, wütend und stark verunsichert sind durch den ständigen Wechsel zwischen auf und zu. “Kinder haben ein Grundbedürfnis nach Sicherheit, stabilen Beziehungen zu den Fachkräften und Spiel- und Klassenkameraden sowie nach geregeltem, gleichbleibendem Tagesablauf” erklärt Zarah Abendschön-Sawall, Vorstandsmitglied von “Initiative Familien” und als Mutter von 5 Kindern selbst betroffen. “Aufgrund der Pandemie erleben die Kinder bereits viel Unsicherheit. Die aktuellen Regeln, die zu ständigem Wechsel im Schul- und KiTa-Alltag führen, missachten dieses Bedürfnis.”

Zudem werden Kinder in Familien mit einem Elternteil in Elternzeit erneut benachteiligt. Denn es gibt dadurch meist keinen Anspruch auf Notbetreuung und soziale Teilhabe der älteren Geschwister in Kita und Schule. Oftmals jonglieren die Eltern zwischen einem Baby, Kinderbetreuung und Home Schooling. Die Überbelastung hinterlässt bei Kindern und Eltern nach 14 Monaten deutliche Spuren.

Bildung hat entgegen aller Beteuerungen der Politik keine Priorität

Manche Kinder bis Klasse 7 haben aufgrund des Status der Eltern (beide berufstätig, alleinerziehend) Anspruch auf Notbetreuung. Wer aber denkt, dass dies Unterricht für das Kind bedeutet, wird enttäuscht. “An unserer Schule machen die Lehrer die Notbetreuung, aber sie dürfen bei den Aufgaben nicht helfen. Meine Tochter (1. Klasse) muss in Eigenregie die Arbeitsblätter bearbeiten, meistens muss ich dann abends nach der Betreuung und der Arbeit mit ihr noch Aufgaben nachbearbeiten oder erklären“,berichtet eine Mutter. Eine andere ergänzt: “Hier kam es vor, dass in der Notbetreuung “Kevin allein zuhause” geschaut wurde. Wenn die Lehrkräfte schon nicht helfen, sollten sie bitte wenigstens die Kinder arbeiten lassen.”

Aber auch der Distanzunterricht ist weiterhin problematisch. “An unserem Gymnasium fand jetzt über eine Woche kein Unterricht statt, da es ein Problem mit dem Server an der Schule gab, das nicht zeitnah gelöst werden konnte. Wie im Frühjahr 2020 erreichten uns über Whatsapp oder Mail abfotografierte Aufgabenblätter”, berichtet eine Familie aus dem Landkreis Heilbronn. „Auch wenn Französisch in der dritten Klasse sicher nicht allzu schwer ist, können weder meine Frau noch ich es unserem Sohn beibringen, da wir beide kein Französisch sprechen. Wir würden gerne helfen, aber wie?” fragt eine Familie aus der Grenzregion. “Meine jugendlichen Schüler haben sich vor den Ferien freiwillig testen lassen. Nun wissen Sie, dass Unterricht nur mit verpflichtenden Tests möglich ist. Sie verweigern nun das Testen und sind somit für mich als Lehrerin im Fernunterricht oftmals nicht erreichbar”, meldet sich eine verzweifelte Lehrkraft aus dem Großraum Stuttgart.

Schulen haben strengere Hygieneregeln als Betriebe, werden dennoch inzidenzabhängig geschlossen

Dabei sind die Hygienemaßnahmen an Schulen und KiTas umfassend. Neben dem bekannten regelmäßigem Händewaschen und Lüften sind an allen Schulen anlassunabhängige regelmäßige Tests für Kinder angeordnet und auch kommunal in vielen Kitas Pflicht. Strenge Kohorten, detaillierte Zeit-, Wege, Eingangs- und Ausgangspläne sind ebenfalls Teil des kindlichen Alltags geworden. An allen Schulen herrscht durchgängig Maskenpflicht unabhängig vom Abstand auch am Platz im Unterricht. „Wenn mein Sohn etwas trinken möchte, darf er das nur alle zwei Stunden in der Pause machen, da die Lehrerin darauf besteht, dass nur draußen die Maske abgezogen werden darf“, berichtet eine Mutter aus dem Kreis Lörrach. An manchen Schulen darf die Maske auf dem Schulhof nur in speziell dafür vorgesehenen Bereichen, so genannten „Lufttankstellen“ abgenommen werden – mit dem Hinweis „Achtet darauf, dass niemand in der Nähe ist“. Zudem haben alle pädagogischen Fach- und Lehrkräfte ein Impfangebot erhalten. Trotz all dieser umfassenden Maßnahmen, die deutlich über die verbindlichen Maßnahmen am Arbeitsplatz hinausgehen, werden alle Schulen und Kitas inzidenzabhängig geschlossen und zwar unabhängig vom Infektionsgeschehen an den Einrichtungen. “Das bedeutet, dass bei einem Ausbruch in einem Unternehmen oder bei einer Testmaßnahme in der Bevölkerung, die eine Dunkelziffer aufdeckt, hauptsächlich die Kinder durch geschlossene Schulen und KiTas die Folgen tragen müssen” erklärt Zarah Abendschön-Sawall, “Für zahlreiche ältere Schüler:innen ab Klasse 7 sind die Schulen ohnehin durchgängig seit Mitte Dezember geschlossen.”

Wechselunterricht ist für Familien mit Kindern an mehreren Schulen ein Organisationswahnsinn

Immerhin findet in Kreisen und Städten mit einer aktuellen Inzidenz unter 165 für einige Kinder in Baden-Württemberg Wechselunterricht statt. Doch auch hier ist das Chaos oftmals perfekt. “Familien, die Kinder z.B. an der Grundschule und der weiterführenden Schule haben, erleben, dass es komplett verschiedene Modelle an den Schulen gibt. Das führt dazu, dass Eltern jeden Tag neu planen und überlegen müssen, wann welches Kind wo Unterricht hat oder betreut ist“, so Zarah Abendschön-Sawall. Parallel zum Wechselunterricht muss zudem eine Notbetreuung für Klasse 1-7 angeboten werden. “Die Notbetreuung in der 3a ist zur Zeit folgendermaßen organisiert: Die Kinder der Notbetreuung werden von einer Lehrkraft auf dem Flur vor dem Klassenzimmer mitbetreut.” heisst es in einem Elternbrief. An anderen Schulen werden pragmatisch alle Jahrgänge zu einer Gruppe zusammengefasst, was dazu führt, dass die Kohorten ständig neu gemischt sind. “Wie dient das dem Infektionsschutz?” fragt eine Mutter aus dem Landkreis Karlsruhe. “Wäre es da nicht besser alle Kinder in vollständigen Klassen aber in Kohorten getrennt zu unterrichten?” Viele Schulen bieten aufgrund organisatorischer und personeller Probleme beim Wechselunterricht weiterhin nur das Minimum an Präsenzunterricht an: Während in den meisten Bundesländern rund 50 Prozent der Schulstunden stattfinden, sind es in Baden-Württembergs Grundschulen oft nur 5 Unterrichtsstunden wöchentlich. Daneben besteht vor allem an weiterführenden Schulen weiterhin ein hoher Leistungsdruck mit Fokus auf Benotung. “Präsenzunterricht ist nicht möglich, aber zu Klassenarbeiten müssen alle Kinder in Präsenz erscheinen. Dann wird getestet, wie gut Eltern ihre Kinder zuhause beschult haben. Ich frage mich, sind das die Noten für die Eltern?” äußert sich eine Mutter aus Heilbronn ironisch.

Verpflichtende Schnelltests bei gleichzeitig inzidenzabhängigen Schließungen benachteiligen Kinder

Für den Schulbesuch in Baden-Württemberg ist es Pflicht, dass Kinder und Jugendliche sich mindestens zweimal wöchentlich einem Schnelltest unterziehen, sogar unabhängig davon, wie viele Tage sie tatsächlich beschult werden. Die Schnelltests leuchten dabei die mögliche Dunkelziffer bei Kindern aus, was zu unterbrochenen Infektionsketten führt. Dass geöffnete Schulen mit regelmäßigen Tests einen positiven Beitrag zur Pandemiebekämpfung leisten, zeigte erst diese Woche eine Auswertung der LMU München. Dort wurden die Inzidenzen in den Altersgruppen der Schüler:innen zwischen Landkreisen mit geöffneten und geschlossenen Schulen systematisch analysiert.1 Gleichzeitig führt dies auch dazu, dass die Inzidenzen steigen, die Schulen schließen und die Kinder eben nicht mehr regelmäßig getestet werden. Vielmehr wäre es notwendig alle Erwachsenen regelmäßig zu testen, damit Infektionsketten durchbrochen werden und es eben nicht zu Eintragungen an Schulen kommt. „Statt Erwachsene und Unternehmen endlich in die Pflicht zu nehmen wie beispielsweise das Land Bremen mit einer Testpflicht in Unternehmen es jetzt tut, belasten wir weiterhin die Kinder“, beklagt Zarah Abendschön-Sawall „Wir brandmarken Kinder als vermeintliche Treiber der Pandemie, ohne zu beachten, dass bei einer regelmäßigen Testung von Erwachsenen die Anzahl der entdeckten Infektionen mindestens genauso so hoch wäre wie bei Kindern und Jugendlichen.“

“Die Verzweiflung, Wut und Frust ist bei den Familien im Land groß, denn was heute schon klar ist: Die Infektionsschutzmaßnahmen belasten weiterhin übermäßig die Kinder und Jugendlichen, auf Kosten ihrer eigenen physischen und psychischen Gesundheit, ihrer Bildungs- und Teilhabechancen” resümiert Zarah Abendschön-Sawall.