Sehr geehrter Herr Kretschmann, sehr geehrte Damen und Herren Landtagsabgeordnete,

während viele Schüler:innen bundesweit nach mehr als drei Monaten noch immer nicht in ihre
Schulen zurückgekehrt sind, nur mit sehr geringem Stundenumfang oder nur Wechselunterricht
erhalten, wird diskutiert, inwieweit Schulen und Kindergärten als Infektionstreiber gesehen werden können. Einzelne Städte nehmen die gerade erst vorsichtig begonnenen Öffnungen dieser Bildungseinrichtungen schon wieder zurück.

Lehrkräfte, Erzieher:innen, Kinder und ihre Familien werden aufgerufen, sich auf freiwilliger Basis
regelmäßig Schnelltests zu unterziehen, um ein mögliches Infektionsgeschehen schnell zu
erkennen und eine Verbreitung in Kitas und Schulen zu verhindern. Dies ist umso wichtiger, je
höher die Inzidenz in der Bevölkerung ist. Diese Schritte begrüßen wir ausdrücklich. Warum die
Teststrategie aber nicht ausgeweitet wird, wie das z.B. in Österreich, wo Schüler:innen dank eines ausgereiften Testkonzepts inzidenzunabhängig die Schule besuchen dürfen, erschließt sich uns nicht.

Das Infektionsgeschehen mag diffus sein. Es finden Infektionen in der gesamten Bevölkerung,
privaten wie im beruflichen Umfeld und auch innerhalb schulischer Einrichtungen und Kindergärten statt. Wie genau diese Infektionsketten laufen, ob von Erwachsenen zu Kindern oder von Kindern zu Erwachsenen bleibt dabei meist im Dunkeln. Dennoch sind Kindergärten und Schulen erneut die ersten Einrichtungen, welche bei steigenden Zahlen wieder geschlossen bzw. nicht weiter geöffnet werden, oder bei denen über eine Schließung nachgedacht wird.

Warum werden bei Ausbrüchen nicht auch Unternehmen oder Teile davon geschlossen? Ist es
nicht notwendig und sogar besser, notfalls uns Erwachsene weiter zu beschränken, die
Schnelltests vor Kontakten bzw. vor Arbeitsbeginn auszuweiten, um die Inzidenzen zu senken?
Könnten wir damit für unsere Kinder, die kommende Generation unserer Gesellschaft, wichtige
Lebensbausteine wie Kindergarten und Schule dauerhaft sinnvoll möglich machen? Die Kinder
sind die Zukunft unseres Landes und müssen als solche behandelt werden. Die Rechte der Kinder müssen gewahrt werden.

Ja, es ist in Ordnung, dass Kinder getestet werden. Ja, es ist gut, dass Unternehmen nicht in den harten Lockdown geschickt werden. Wo aber ist die Verhältnismäßigkeit zwischen dem, was Kindern abverlangt wird, und dem, was Erwachsene zur Eindämmung der Pandemie leisten? Kinder sind keine kleinen Erwachsenen! Kinder befinden sich im Wachstum, müssen sich entwickeln dürfen. Wann beginnen wir endlich zu realisieren, dass die Einschränkung von
Erwachsenen nun ein Jahr dauert, die Einschränkung für einen Erstklässler aber z.B. mehr als die Hälfte seiner bisherigen Schullaufbahn, für einen Vierjährigen ein Viertel seines ganzen bisherigenLebens, für einen Jugendlichen einen Großteil dieses Lebensabschnitts? Wir fordern daher eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen!

Wenn wir uns als Erwachsene nicht härtere Maßnahmen auferlegen wollen, warum verlangen wir dies dann von unseren Kindern? Und wenn wir es schon von unseren Kindern verlangen, warum geben wir ihnen dann nicht wenigstens die Sicherheit, dass wir ihre Einrichtungen offen lassen, dass uns ihre Bildung und ihre Entwicklung wichtig sind?! Ja es gibt Generationen die haben länger auf Bildung und soziale Kontakte und Austausch verzichten müssen, ja es gibt auch Regionen in der Welt, in denen diese Situation noch schlimmer ist. Aber unsere Kinder haben in den vergangenen 12 Monaten durchschnittlich auf 53 Prozent(!) der regulären Unterrichtstage verzichtet.1

Warum schützen wir nicht auch unsere Kinder mit den uns verfügbaren Möglichkeiten? Kinder brauchen Kinder, Kinder brauchen Bildung, Kinder brauchen soziale Kontakte, und dies in einem anderen Rahmen als Erwachsene! Der Entzug der Sport- und Bewegungsmöglichkeiten im Rahmen von Vereinen wirkt sich noch verstärkend auf diese Situation aus. Die Kinder leiden an Bewegungsmangel und Antriebslosigkeit.

Schon seit vielen Monaten schlagen Kinderärzt:innen2, Psycholog:innen3 4 und Sozialpädagog:innen Alarm und warnen vor den psychischen Auswirkungen5 der getroffenen Maßnahmen auf die Kinder. Eine im März veröffentlichte Publikation6 hat im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie in etwa doppelt so viele Kinder und Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten ermittelt und ein verschlechtertes Gesundheitsverhalten. Die DGPI (Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie) weist in einer Stellungnahme vom Februar7 dringend auf die Berücksichtigung der durch die Corona Maßnahmen entstehenden Kollateralschäden bei Kindern und Jugendlichen hin.

  • Wir fordern zukünftige Entscheidungen endlich aus der Perspektive eines Kindes zu sehen und nicht nur aus der Perspektive eines Erwachsenen!
  • Wir fordern bei zukünftigen Entscheidungen auch Expert:innen mit einzubeziehen, die physische und psychische Gesundheit von Kindern mit im Blick haben.
  • Wir fordern, künftig vor jeder die Kinder betreffenden Maßnahme, zuerst zu überlegen, onicht eine alternative Maßnahme für Erwachsene die Einschränkung der Kindern erübrigen könnte.

Kinder müssen die gleiche Wertschätzung erfahren, wie Erwachsene. Kinder dürfen in ihrer natürlichen Entwicklung und Entfaltung nicht eingeschränkt werden.

16,5% der deutschen Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. Ca. 8,33 Millionen
Kinder besuchen die allgemeinbildenden Schulen, 3,7 Millionen Kinder besuchen eine Kita.

Wir fordern mehr Beachtung für diesen erheblichen Teil unserer Gesellschaft!

Über uns
„Familien in der Krise“ und „Kinder brauchen Kinder“ sind zwei bundesweit aktive Initiativen, die sich im Zuge der Corona-Krise gegründet haben und gemeinsam den Verein „Initiative Familien“ gründen. Unser Ziel ist es, langfristig auf die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Familien aufmerksam zu machen und sie ins Zentrum politischer Entscheidungen zu rücken. Wir haben bereits zahlreiche Gespräche mit führenden Politiker:innen aus Bundes- und Landespolitik geführt sowie ein umfassendes Medienecho erzeugt.

Quellen
1 COVID-19 and School Closures: One year of education disruption – UNICEF DATA
2 DGKH_DGPI-Empfehlung_18_01_2021_v2.pdf
3 Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen muss geschützt werden! – Offener Brief (offener-brief-kiju.de)
4 PM: Folgerungen aus KJP-Umfrage (bvvp.de)
5 UKE – Child Public Health – COPSY-Studie
6 Seelische Gesundheit und psychische Belastungen von Kindern und Jugendlichen in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie – Ergebnisse der COPSY-Studie | SpringerLink
7 Stellungnahme der DGPI und der DGKH: Kinder in der COVID-19 Pandemie (Stand 05.02.2021) » DGPI: Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie

Fotonachweis: Pixabay


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