Sind Erziehungspartnerschaft und Bildungskooperation noch vorhanden? Solidarität ist keine Einbahnstraße!
Sehr geehrte Damen und Herren der GEW Berlin,
seit einiger Zeit beobachten wir die zunehmend radikalen Positionen Ihres Verbandes. Mit Abschluss dieses verheerenden Schuljahres möchten wir unsere Besorgnis darüber zum Ausdruck bringen.
Die Unterstützung der Pädagog:innen durch die Elternschaft ist ein wesentlicher Aspekt der Mitwirkung am demokratischen Schulsystem. Im Sinne aller – auch unserer Kinder – gilt: Gute Rahmenbedingungen für die Arbeit der Pädagog:innen sind eine Voraussetzung für gute Lehrer-Eltern-Schüler-Beziehungen und guten Unterricht.
Diese Solidarität hat die GEW in der Pandemie mehr als überstrapaziert. Wir als Eltern und als Verein haben uns nachdrücklich für eine Impfpriorisierung der Pädagog:innen ausgesprochen. Aus verschiedenen Studien geht klar hervor, dass Lehrkräfte selten von Kindern angesteckt werden. Die meisten Ansteckungen unter pädagogischem Personal gehen auf das Personal selbst zurück. Durch den Katalog an Hygienemaßnahmen sind Schulen der am besten kontrollierte Bereich. Die pauschale Forderung, nur Lehrer:innen mit einem ausreichenden Impfschutz völlig unabhängig von ihrer individuellen Schutzbedürftigkeit Präsenzunterricht durchführen zu lassen#, zeugt von einem übersteigerten Sicherheitsbedürfnis, das rücksichtslos auf den Rücken der Kinder ausgetragen wird. Auch weitere Einlassungen der GEW wie die Forderungen, Schulen erst gar nicht# und nun auch bei sinkenden Inzidenzwerten nicht uneingeschränkt zu öffnen#, oder die Forderung nach täglichen Tests# erfolgten ohne jedes Abwägen oder Gedanken an die Folgen für die Schüler:innen.
Wer aber anderes als die Pädagog:innen sollte besser um die entwicklungsbedingte Vulnerabilität der Kinder und Jugendlichen und damit um die Folgen der Schulschließungen wissen? Wer hat in Ausbildung und Beruf gelernt, dass Schule viel mehr bedeutet als die Vermittlung von Wissen? Dass Schule ein sozialer Raum und auch ein Schutzraum ist – insbesondere für Kinder, die von Gewalt in Familien bedroht sind? Gerade Pädagog:innen dürfen sich nicht wundern, wenn die Folgen dieser erzwungenen Schulferne sichtbar werden: gravierende Bildungslücken, Integrationsprobleme und soziale Deprivation, ein Anstieg von Depressionen, psychische Schäden, fehlender Schutz vor häuslicher Gewalt und Missbrauch. Die langfristigen negativen Folgen anhaltenden Unterrichtsausfalls für Bildungs- und Entwicklungschancen der betroffenen Kinder, ihre späteren Erwerbsmöglichkeiten, ihre Gesundheit und Lebenserwartung sind umfassend belegt. Dass der Distanzunterricht an den Bedürfnissen der Mehrheit der Kinder vorbeigeht und zusätzlich zu einer Verschärfung der Bildungsungerechtigkeit führt, ist unbestritten. Auch die erheblichen Schwachstellen im Wechselmodell sind offenkundig. Infektionsschutz für Lehrer:innen gegen die Gesundheit und die Entwicklungschancen von Kindern auszuspielen, ist vollkommen inakzeptabel, denn beides lässt sich miteinander vereinen.
Liest man die Positionen Ihres Verbandes und die Äußerungen Ihres Vorsitzenden Tom Erdmann, wird deutlich: Schüler:innen als Subjekte mit ihren entwicklungsbedingten Bedürfnissen und Interessen kommen nicht mehr vor. Sie werden ausschließlich als Gefahr für die Gesundheit der Pädagog:innen wahrgenommen, die man solange wie möglich aus der Schule heraushalten sollte. Diese Ignoranz ist schwer erträglich. Die GEW hat offenbar vollkommen vergessen, dass Lehrkräfte eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Schüler:innen haben. Wir empfehlen einen Blick in das Berliner Schulgesetz. Dort legt § 4 etwa fest, dass „Benachteiligungen und Chancengleichheit ausgeglichen“ werden müssen (Abs. 2) und Schule „zum Schutz der seelischen und körperlichen Unversehrtheit, der geistigen Freiheit und der Entfaltungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler“ zu gestalten ist (Abs. 5).
Zum Glück kennen wir viele verantwortungsvolle Pädagog:innen in den Schulen unserer Kinder, die wissen, dass man auch in der Pandemie die Interessen der Schwächsten nicht vergessen und mit dem eigenen Schutzbedürfnis abwägen muss. Für ihr Wohl und das unserer Kinder werden wir uns auch in Zukunft für bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen einsetzen.
Was aber Ihren Verband betrifft, nehmen wir eine nicht für möglich gehaltene Entsolidarisierung mit den ihnen anvertrauten Schutzbefohlenen wahr. Uns macht das fassungslos. In der Kleinkind- und Vorschulpädagogik spricht man von einer Erziehungspartnerschaft. Sind diese und die grundlegend notwendige Bildungskooperation zwischen Lehrkräften noch vorhanden? Wir können nur den deutlichen Worten des Freitag-Redakteurs Sebastian Puschner zustimmen: „Wer die Rechte von Kindern derart mit Füßen tritt, … sollte sich fortan nicht mehr ,Bildungsgewerkschaftʻ nennen, die GEW entpuppt sich zumindest in Berlin als schlichte Lobbygruppe für Privilegierte“#. Mit Ihrer Politik, den Gesundheitsschutz entgegen aller wissenschaftlichen Notwendigkeit über das verbürgte Recht der Kinder auf eine gesunde geistige und körperliche Entwicklung zu stellen, haben Sie die Bedeutung des von Ihnen vertretenen Berufsstandes ausgehöhlt.
In der aufrichtigen Hoffnung, dass Sie sich neben der Wahrnehmung legitimer Eigeninteressen auch bald wieder auf Ihre Verantwortung gegenüber Ihren Schutzbefohlenen und die zentrale gesellschaftliche Rolle Ihres Berufsstandes zurückbesinnen, verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen
Initiative Familien, Landesgruppe Berlin