Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Dr. Tschentscher, 
sehr geehrte Frau Zweite Bürgermeisterin Fegebank,
sehr geehrter Herr Senator Rabe,
sehr geehrte Frau Senatorin Dr. Leonhard,

die Hamburger Eltern und alle Schulbeteiligten haben in Sie, sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Dr. Tschentscher, sehr geehrte Frau Zweite Bürgermeisterin Fegebank, sehr geehrter Herr Senator Rabe und sehr geehrte Frau Senatorin Dr. Leonhard, ihr ganzes Vertrauen gesetzt!

Wir Familien haben in den letzten Wochen unseren Teil der Abmachung erfüllt und für die Etablierung des Wechselunterrichts und der Teststrategie an den Hamburger Schulen einen enormen Kraftakt unternommen: Arbeitspläne mussten wieder umgebaut, finanzielle Einbußen und mögliche Restriktionen durch Arbeitgeber:innen in Kauf genommen werden. Zudem mussten in Bezug auf die Schnelltests der Schüler:innen in zahlreichen Gesprächen Überzeugungsarbeit geleistet und auch Ängsten begegnet werden.

Die Schulen mit all ihren Beteiligten, Schulleitung und Schulverwaltung, Elternrat, Elternvertreter:innen, Eltern, Schüler:innen und Lehrer:innen sind stolz auf den großen Erfolg: 84% der Schüler:innen unserer Hamburger Schulen haben die Selbsttests durchgeführt![1]

Die aktuelle Entwicklung der erneuten Schließung von Hamburger KiTas sehen wir ebenfalls mehr als kritisch und zweifeln die Wirksamkeit dieser Maßnahme stark an. Wie die Berliner Corona Schul- und KiTa-Studien bereits gezeigt haben, war die erneute Schließung der KiTas nicht notwendig, denn das Ansteckungsrisiko in Schulen und KiTas ist nach wie vor gering.[2] Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch aus vergleichbaren Studien aus Frankfurt, Rheinland-Pfalz und vielen anderen Bundesländern, wie auch aus dem Ausland.[3][4][5] Eines haben alle diese Studien gemeinsam: Das Ergebnis hat gezeigt, dass das Risiko einer Ansteckung auch bei hoher Verbreitung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung mit den Hygienemaßnahmen, die in Hamburg im Einsatz sind, gering ist. Es stehen Impfprogramme für Lehrer:innen und Erzieher:innen zur Verfügung. Das Modellprojekt “Teststrategie für KiTa-Kinder”, welches ab dem 8. April in ausgewählten Hamburger KiTas starten soll, ermöglicht das Entdecken von Eintragungen des Virus’ in KiTas auch bei steigenden Infektionszahlen in der Umgebung. Nur bringt auch die beste Teststrategie nichts, wenn die KiTas geschlossen sind und man deshalb keine repräsentativen Erhebungen durchführen kann.
Angesichts der erneut geschlossenen Kitas und Ihrer Erwägungen, auch die Schulen erneut zu schließen, appellieren wir dringend an Sie: Erfüllen auch Sie Ihren Teil der Abmachung! Mit der durch Sie eingeführten Testpflicht sind die Schulen zusätzlich zu den Hygienekonzepten, und den Quarantäneregeln weit sicherere Orte als die meisten Arbeitsstätten in dieser Stadt.

Schaffen Sie Gerechtigkeit, indem Sie, 

  1. endlich auch die Jahrgänge, die seit Dezember (nunmehr im 5.Monat) weiterhin isoliert zu Hause rein digital beschult werden, wieder in die Schule gehen lassen. Das sind Schüler:innen der 5.-8. sowie 11. und 12. Klassen an Stadtteilschulen und an Gymnasien die 5.- 9.und 11. Klassen. Und hier erwähnen wir besonders die Kinder der Klasse 5, die mit dem Fernunterricht aufgrund ihres Alters noch viel schwierigere Voraussetzungen haben als die Größeren.
  2. im nächsten logischem und gerechtem Schritt die Arbeitsstätten in all diesen Punkten den Schulen gleichstellen und nachziehen lassen. Denn laut der aktuellen CODAG-Studie der Universität München spielt das Arbeitsumfeld eine deutlich größere Rolle für das Gesamtinfektionsgeschehen in der Bevölkerung als Schulen und Kitas:


“Im Lockdown ist das Infektionsumfeld Arbeitsplatz herausstechend und von dort werden die Infektionen in die Haushalte getragen.”[6]

Machen Sie die Schulen zu Modellstätten für alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Führen Sie die längst überfälligen, verpflichtenden Tests für alle Arbeitnehmer:innen ein, die nicht im Homeoffice arbeiten können.

Die Schulen können mit etablierter Teststrategie unabhängig von der allgemeinen Inzidenz geöffnet bleiben und so ein wichtiges Element im Kampf gegen die Pandemie in unserer Stadt werden! Die Tests an den Schulen führen dazu, Infektionsketten frühzeitig aufzudecken und nachzuverfolgen. Im Wechselunterricht werden die Schüler:innen mit zwei Tests pro Woche fast täglich getestet und ganz Hamburg liefert so einen großen Beitrag für die Nachverfolgung der Infektionen insgesamt.

Wenn Sie jetzt die Schulen wieder schließen und die zu Hause lernenden Jahrgänge noch länger isolieren, wird das bei Schüler:innen und Eltern zu einem enormen Vertrauensverlust in das Testkonzept, in die Maßnahmen und die Pandemiepolitik insgesamt führen! Wir Familien werden alle verbittert den Schluss ziehen, dass wir durch die Zustimmung zur Teststrategie, selbst zu den Schulschließungen beigetragen haben. 

Es ist im Vorwege viel darüber gesprochen worden, dass wir eine Durststrecke überstehen müssen, weil durch das flächendeckende Testen die Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen unweigerlich nach oben schnellen wird. Schließlich decken wir die Dunkelziffer auf. Dieser Tatsache wird beispielsweise der Freistaat Sachsen mit seiner Corona-Schutz-Verordnung vom 30.3.21 gerecht: Schulen bleiben inzidenzunabhängig offen.[7] [8] Auch in Berlin wurde kürzlich beschlossen, dass ab dem 1. April in Bezug auf Lockdownmaßnahmen weitere Kriterien wie zum Beispiel der R-Wert, die Impflage und die Belastungslage im Gesundheitswesen berücksichtigt werden müssen.[9] Dies schließt auch Maßnahmen wie Schulschließungen mit ein.
Darüber hinaus würden durch erneute Schulschließungen die Infektionszahlen wieder in die andere Richtung verzerrt – denn die Dunkelziffer würde dann durch den Wegfall der Schultests eben nicht mehr erfasst! Die erwartbare Reduzierung der Infektionszahlen ist somit nur eine scheinbare Sicherheit, die Inzidenzen werden nicht mehr aussagekräftig sein. Denn nach wie vor werden stets die absoluten Inzidenzen, nicht die relativen (in Bezug auf die Anzahl der Tests) dargestellt.

Das RKI, die DGJK, der CODAG-Bericht Nr.12 und weitere Studien und Wissenschaftler wie beispielsweise Prof. Fred Zepp sehen Schulen nach wie vor nicht als Treiber der Pandemie. In der vorgeschlagenen “Toolbox zum Stufenkonzept” des RKI werden Schulen und Kitas am Transmissionsgeschehen und beim Infektionsrisiko jeweils nur ein niedriger bis moderaten Anteil zugewiesen.[10]
In der aktuellen Codag-Studie der Universität München heißt es dazu:
“Insgesamt ist das Ausbruchsgeschehen an Schulen damit im Vergleich zu anderen Infektionsumfeldern eher gering” und weiter: “Es wird deutlich, dass der Anteil der Infektionen bei Kindern und Jugendlichen, die auf einen Ausbruch in der Schule zurückzuführen sind, in allen Altersgruppen zu jedem Zeitpunkt der Pandemie verschwindend gering war.”[11]

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine weitere Studie des RKI – “Epidemiologie von COVID-19 im Schulsetting”:
“Zusammenfassend legen die vorgestellten Daten und die genannten obigen Studien nahe, dass SuS eher nicht als „Motor“ eine größere Rolle spielen, aber dass die Häufigkeit in einer engen Beziehung zur Inzidenz in der Gesamtbevölkerung steht. Auftretende Ausbrüche sind im Regelfall im beobachteten Zeitraum klein und etwa die Hälfte beschränkt sich auf die Jahrgänge oder Klassen”[12]

Fallen diese Stellungnahmen und Studien bei Ihren Überlegungen ins Gewicht? 

Wir befürchten, dass die erneuten Schließungen nicht zur Bekämpfung der pandemischen Lage, sondern nur zu Einem führen werden: Weiteren Kollateralschäden an den Hamburger Kindern und Jugendlichen. Wir befürchten und sehen schon jetzt, dass unsere Kinder der Jahrgänge 5-12, die in diesem Jahr noch gar nicht in die Schule gehen konnten (insbesondere die Kinder der 5. Jahrgänge), Schäden davontragen und Nachteile haben werden, die nicht rückgängig gemacht werden können. Die Jahrgänge in der Beschulung unterschiedlich zu behandeln, fördert die Chancenungleichheit der Kinder und stellt eine große Ungerechtigkeit dar. In Berlin haben Klagen einiger Eltern ergeben, dass vollständiger Ausschluss einzelner Klassenstufen von einer Präsenzbeschulung im Wechselmodell rechtswidrig ist.[13] 

Die erneute Schließung der KiTas ist, u.a. in Bezug auf die Senkung der Inzidenzwerte, äußerst zweifelhaft. Ganz im Gegenteil ist es sogar dringend nötig, die Einrichtungen geöffnet zu lassen bzw. zu öffnen, denn die Solidarität, die wir Kindern bereits seit Monaten abverlangen, geht auf Kosten ihrer Bildungs- und Entwicklungschancen, ihrer psychischen Gesundheit und ihrer körperlichen Unversehrtheit, wie es auch durch die Hamburger COPSY-Studie belegt wurde.[14]

Daher abschließend unser dringender Appell an Sie, Herr Dr. Tschentscher, Frau Fegebank, Herr Rabe und Frau Dr. Leonhard:

Geben Sie den Schulen und dem erst knapp 2 Wochen erprobten Testkonzept eine Chance! Für die Kinder, für die Jugendlichen, für die Familien UND für alle Hamburgerinnen und Hamburger! Mit der Teststrategie und der damit einhergehenden Identifizierung und Durchbrechung der Infektionsketten kann ein großer Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet werden!

In hoher Achtung vor der großen Verantwortung, die Sie derzeit tragen und mit freundlichen Grüßen 

Das Hamburger Team von Initiative Familien


[1] https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-hamburg-84-prozent-der-schueler-machen-ersten-corona-schnelltest-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210326-99-986380

[2]https://www.charite.de/klinikum/themen_klinikum/themenschwerpunkt_coronavirus/teststrategie/wissenschaftliche_studien/

[3] Safe Kids Studie des Hessisches Ministerium für Soziales und Integration: https://www.aerztezeitung.de/Politik/Kitas-sind-keine-Verbreitungsherde-fuer-Coronavirus-414358.html

[4] Rheinland-Pfälzer Studie: https://lua.rlp.de/fileadmin/lua/Downloads/Corona/SARS-S_Zusammenfassung_deutsch_v2.pdf

[5] Bayern: https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.01.22.21249971v1.full.pdf?fbclid=IwAR2sC5lA7WMpb7zmt5iZH02UufgMmE3AW-N9luFBxBApCxyIJ5BLNQ8L_OE

[6] CODAG-Bericht Nr.12, ab S. 13 ff.: https://www.covid19.statistik.uni-muenchen.de/pdfs/codag_bericht_12.pdf

[7] https://www.spiegel.de/panorama/bildung/corona-krise-sachsen-oeffnet-schulen-nach-osterferien-unabhaengig-vom-inzidenzwert-a-e9c08a6a-35c5-4ac4-8dbb-d6989d9cb028

[8] https://www.coronavirus.sachsen.de/download/SMS-Saechsische-Corona-Schutz-Verordung-2021-03-05.pdf

[9] https://www.berliner-zeitung.de/news/per-gesetz-beschlossen-inzidenzwert-darf-nicht-mehr-alleiniger-massstab-sein-li.148929

[10] RKI: ControlCOVID – Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021, s. u.a. “Toolbox zum Stufenkonzept”: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Stufenplan.pdf?__blob=publicationFile

[11] CODAG-Bericht Nr.12, ab S. 13 ff. https://www.covid19.statistik.uni-muenchen.de/pdfs/codag_bericht_12.pdf

[12] RKI: Epidemiologie von COVID-19 im Schulsetting: https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/7840/EB%2013-21-online-vorab_Schulsetting%20%28002%29.pdf?sequence=4&isAllowed=y

[13]https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1062949.php

[14] https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html

Hier finden Sie den Offenen Brief aus Hamburg vom 7. 4. 2021 als Pdf: