17. Januar 2022

Quarantäneregeln dürfen nicht zu Schulschließungen durch die Hintertür führen

Offener Brief an den Bundeskanzler, die Ministerpräsident:innen, die Kultus- und Gesundheitsminister:innen des Bundes und der Länder

Zum Schutz Erwachsener hat Deutschland im vergangenen Jahr Kindern und Jugendlichen die längsten Einschränkungen des Schul- und KiTa-Betriebs in Europa auferlegt. Die daraus resultierenden gravierenden Schäden für ihre Bildungs- und Entwicklungschancen sowie ihre psychische und physische Gesundheit sind umfassend dokumentiert und unbestritten. Weitere Einschränkungen kämen nur dann in Frage, wenn durch geregelten Schulbetrieb eine substanzielle Gefahr für Kinder und Jugendliche selbst bestünde. Dafür gibt es derzeit keinerlei Hinweise. 
Nach wie vor gilt: Gefahren in KiTas und Schulen sind gering. 

Eindämmungs- und Schutzmaßnahmen müssen auf die Risikogruppen fokussieren, nicht auf Kinder und Jugendliche.

Viren mutieren, kein Grund, Kinderrechte massiv zu verletzen

Bereits zum Jahreswechsel 2020/21 mutmaßten einige Expert:innen ohne jede wissenschaftliche Evidenz, dass die damals neu aufgetretene Virusvariante Alpha sich signifikant schneller an Schulen verbreiten und Kinder und Jugendliche stärker schädigen könnte. Beides erwies sich als falsch. Was Deutschland jedoch nicht daran hinderte, die Weihnachtsferien drastisch zu verlängern – teilweise bis in den Sommer hinein. Andere Länder hingegen, wie etwa die Schweiz und Frankreich, beobachteten stattdessen die Infektionslage an den Schulen genau und hielten diese offen, ohne in der Folge mehr Todesfälle wegen COVID-19 beklagen zu müssen als Deutschland.

Ein Jahr später erleben wir mit Omikron[1][2][3] ein Déjà-vu: Die reflexartigen Rufe nach KiTa- und Schulschließungen werden immer lauter. Zwar wird sich die Virusvariante „Omikron“ schneller verbreiten und deswegen auch im Verlauf der sich aufbauenden Welle häufiger in Schulen, KiTas und in Kinderkrankenhäusern – in vielen Fällen als Nebenbefund – zu finden sein. Doch gibt es keine Hinweise darauf, dass „Omikron“ für Kinder mit einem höheren gesundheitlichen Risiko verbunden ist. Darüber hinaus weisen alle Studien bislang auf ein geringeres Krankheitsrisiko bei der Omikron-Variante hin, insbesondere auch bei Kindern. Erwachsene können sich effektiv selbst schützen. Essenziell hierfür bleibt ihre vollständige Impfung nach STIKO-Empfehlung. In diesem Winter muss Deutschland deshalb bei der Pandemiebekämpfung endlich dem Beispiel jener Länder folgen, die den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen bei allen Maßnahmen eine hohe Priorität einräumen.

Quarantäne für gesunde Kinder vermeiden

Eine neue Virusvariante, die sich zwar rascher verbreitet, aber nach allen bisherigen Erkenntnissen eine deutlich geringere Krankheitslast mit sich bringt, darf Kinder und Jugendliche nicht durch unverhältnismäßige Quarantänemaßnahmen von Bildung und Teilhabe ausschließen. Insbesondere für den Bildungsbereich braucht es wissenschaftlich validierte „Test to stay“-Programme, wie sie auch in anderen Ländern – aktuell auch in UK – genutzt werden: Bei einem positiven Fall testen sich anlassbezogen Kontaktpersonen täglich und dürfen in der Schule bleiben, solange sie negativ getestet sind.

Insgesamt brauchen wir eine Rückkehr zur Normalität für unsere Jüngsten: Schulunterricht ohne Beschränkungen für Sport und AGs, ohne Quarantäne und anlasslose Reihentestungen für gesunde Kinder. Bislang konnte nicht belegt werden, dass letztere irgendeinen messbaren Einfluss auf den Gesamtverlauf der Pandemie hatten. Spätestens, wenn die Omikronwelle abklingt, muss auch die Maskenpflicht in der Schule fallen.

Impfungen gehören in die Kinderarztpraxen, nicht in KiTas oder Schulen  

Für Kinder ab 12 Jahren – bei vorerkrankten Kindern bereits schon ab 5 –  gibt es einen von der STIKOempfohlenen Impfstoff, der das ohnehin schon geringe Krankheitsrisiko für diese Altersgruppe noch weiter senken kann. Eine allgemeine Impfempfehlung für 5-12jährige liegt aufgrund einer noch unzureichenden Datenlage bislang nicht vor. Aber gerade, weil Kinder und Jugendliche wegen ihres geringen Erkrankungsrisikos nur einen marginalen individuellen Nutzen daraus ziehen, muss der Impfung ein eingehendes Beratungsgespräch vorausgehen, um Risiken und Nutzen miteinander abzuwägen. Schulen, KiTas oder auch Zoos sind dafür keine geeigneten Orte.

Zusammenfassend fordern wir:

  • Anlassbezogene Tests anstatt Quarantäne für gesunde Kinder und Jugendliche als Kontaktpersonen.
  • Eine vorausschauende transparent diskutierte Strategie, die in verschiedenen Szenarien den Übergang von der Pandemie zur Endemie darlegt und insbesondere Kindern und Jugendlichen schnellstmöglich Normalität im Alltag garantiert. 
  • Eine sachliche und differenzierte Kommunikation, die Ängsten begegnet und Kinder und Jugendliche nicht weiterhin stigmatisiert. 
  • Die Gleichstellung aller Kinder und Jugendlichen mit geimpften und genesenen Erwachsenen. Der Zugang von Kindern und Jugendlichen zur Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen Aktivitäten des sozialen Lebens darf nicht vom Vorliegen einer Impfung abhängig gemacht werden. Dafür spricht sich auch erneut und nachdrücklich die STIKO aus.
  • Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, die bei Risikogruppen und Erwachsenen ansetzen, anstatt Kinder und Jugendliche einzuschränken, ohne einen für sie erkennbaren persönlichen Nutzen.

Kinder und Jugendliche haben einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie geleistet mit gravierenden Nachteilen für sie selbst, unter denen sie noch Jahre leiden werden. Weitere Beschränkungen ihrer Freiheit zum Schutz für Erwachsene sind nicht mehr zu rechtfertigen. 

Initiative Familien

Heike Riedmann, Zarah Abendschön-Sawall, Dr. med. Christine Busch

kontakt@initiativefamilien.de

Mit Unterstützung von:

Prof. Dr. med. Ursel Heudorf, Fachärztin für Kinderheilkunde und für Öffentliches Gesundheitswesen, ehem. stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt am Main

Dr. Peter Walger, Vorstand Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene e.V. (DGKH), Internist, Intensivmediziner und Infektiologe

Prof. Dr. med. Arne Simon, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie

Prof. Dr. med. Detlev H. Krüger, Virologe

Prof. Dr. med. Johannes Hübner, Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Infektiologie

Prof. Dr. Klaus Stöhr, virology, epidemiology. Former: Director WHO Global Influenza Program and SARS Research Coordinator. Novartis

Dr. med. Andrea Knipp-Selke, Ärztin in der Kinder- und Jugendheilkunde

Erstunterzeichner:

Prof. Dr. med. Rüdiger von Kries, Kinder- und Jugendmedizin, Epidemiologie

Prof. Dr. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie

Univ. Prof. Dr. Nikolaus Haas, Präsident Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler e.V. (DGPK)

Prof. Dr. med., Prof. h.c. (MNG) Walter Popp, Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene; Ärztliches Qualitätsmanagement, ABS-Experte (DGKH), Dortmund

Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V. (BVKJ)

Dr. med. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Köln

Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz, Kinderarzt, Infektiologe

Dr. med. Reinhard Bartezky, Kinder- und Jugendarzt, Landesvorsitzender BVKJ – LV Berlin

Dr. Stefan Trapp, Kinder- und Jugendarzt Landesvorsitzender BVKJ Bremen

Prof. Dr. med. Stefan Willich, Direktor, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Initiative Kinder brauchen Schule


[1] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.12.21.21268116v1.full

[2] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/1044481/Technical-Briefing-31-Dec-2021-Omicron_severity_update.pdf  

[3] https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.12.30.21268495v1

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